Für ein Kind, das sich in der
Ausbildung befindet, aber voraussichtlich langfristig erkrankt ist, d.h. für
mehr als sechs Monate, wird Kindergeld nur dann gezahlt, wenn das Kind aufgrund
der Erkrankung außerstande ist, sich selbst zu unterhalten, und damit als
behindert gilt.

Hintergrund: Für
volljährige Kinder wird Kindergeld gewährt, wenn sie sich in einer
Berufsausbildung befinden und das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben.
Gleiches gilt, wenn sie wegen einer vor Vollendung des 25. Lebensjahres
eingetretenen körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung außerstande
sind, sich selbst zu unterhalten.

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Sachverhalt: Die Klägerin
beantragte für den Zeitraum 2018 und 2019 Kindergeld für ihren im Februar 1999
geborenen Sohn S, der sich seit dem 1.8.2015 in einer Berufsausbildung zum
Mechatroniker befand, die am 31.1.2019 enden sollte. Im September 2018 wurde S
bei einem Arbeitsunfall schwer verletzt: Bis zum November 2018 lag S im
Krankenhaus; danach nahm er an Rehabilitationsmaßnahmen teil, die immer wieder
verlängert wurden und die die Eingliederung des S in das Berufsleben zum Ziel
hatten. Im Februar 2020 wurde eine weitere berufsvorbereitende Maßnahme
durchgeführt. Das Ausbildungsverhältnis wurde verlängert. Die Familienkasse hob
die Kindergeldfestsetzung für den Zeitraum ab Oktober 2018 auf. Hiergegen
wehrte sich die Klägerin.

Entscheidung: Der
Bundesfinanzhof (BFH) verwies die Sache zur weiteren Prüfung an das
Finanzgericht (FG) zurück:

  • Zwar befand sich S seit dem
    1.8.2015 in einer Berufsausbildung. Die Berufsausbildung könnte aber durch eine
    nicht nur vorübergehende Erkrankung bzw. Verletzung des S unterbrochen worden
    sein. Eine nicht nur vorübergehende Erkrankung ist bei einer voraussichtlichen
    Dauer von mehr als sechs Monaten anzunehmen.

  • Ist eine Erkrankungsdauer von
    mehr als sechs Monaten zu erwarten, entfällt zwar der Kindergeldanspruch unter
    dem Gesichtspunkt der Berufsausbildung. Jedoch kommt dafür ein
    Kindergeldanspruch unter dem Aspekt einer körperlichen, geistigen oder
    seelischen Behinderung in Betracht, sofern das Kind behinderungsbedingt
    außerstande ist, sich selbst zu unterhalten.

  • Das FG muss nun feststellen,
    ob und wann eine Erkrankungsdauer von mehr als sechs Monaten zu erwarten war.
    War dies etwa erst nach der Entlassung aus dem Krankenhaus im November 2018 der
    Fall, wäre bis zu diesem Zeitpunkt Kindergeld zu gewähren. Soweit eine
    Erkrankungsdauer von mehr als sechs Monaten zu erwarten war, ist zu prüfen, ob
    S ab diesem Zeitpunkt oder zu einem späteren Zeitpunkt behinderungsbedingt
    außerstande war, sich selbst zu unterhalten; falls ja, wäre ab diesem Zeitpunkt
    Kindergeld unter dem Gesichtspunkt einer Behinderung zu gewähren.

Hinweise: Das Urteil des
BFH klingt hart, weil das Kindergeld für ein ausbildungswilliges Kind aufgrund
eines tragischen Unfalls versagt wird. Allerdings kommt als Ersatz ein
behinderungsbedingtes Kindergeld in Betracht. Die Gewährung des Kindergelds
hängt dann allerdings davon ab, dass sich das Kind aufgrund der Behinderung
nicht selbst unterhalten kann.

Auch eine nur vorübergehende
Untersuchungshaft des Kindes oder ein Ausreiseverbot für ein sich gerade im
Ausland befindliches Kind führen nicht zur Versagung des Kindergeldanspruchs,
wenn eine Dauer der Untersuchungshaft bzw. des Ausreiseverbots nach Deutschland
von mehr als sechs Monaten nicht zu erwarten ist.

BFH, Urteil v. 15.12.2021 – III R
43/20; NWB