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Der Bundesfinanzhof (BFH) hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG)
angerufen, weil er die Beschränkung der Verlustverrechnung für Verluste aus
Aktienverkäufen für verfassungswidrig hält. Im Gegensatz zu anderen Verlusten
aus Kapitalvermögen können Verluste aus Aktienverkäufen nämlich nur mit
Gewinnen aus Aktienverkäufen verrechnet werden. Der BFH sieht hierin eine
verfassungswidrige Ungleichbehandlung, für die es keinen hinreichenden
sachlichen Grund gibt.

Hintergrund: Verluste aus der
Veräußerung von Aktien dürfen nur mit Gewinnen aus der Veräußerung von Aktien
verrechnet werden, nicht aber mit anderen positiven Kapitaleinkünften oder
anderen Einkünften. Andere Verluste aus Kapitalvermögen wie z.B.
Darlehensverluste können hingegen mit anderen positiven Einkünften aus
Kapitalvermögen verrechnet werden, ebenfalls aber nicht mit anderen Einkünften,
z.B. aus Gewerbebetrieb; denn Kapitaleinkünfte unterliegen i.d.R. einem
speziellen Steuersatz, nämlich der Abgeltungsteuer von 25 %.

Sachverhalt: Die Kläger sind
Eheleute. Der Ehemann erzielte im Jahr 2012 Verluste aus Aktienverkäufen in
Höhe von 4.819 € und positive Kapitalerträge in Höhe von 2.092 €.
Die Ehefrau erzielte positive Kapitalerträge in Höhe von 1.289 €, aber
erlitt keine Verluste aus Aktienverkäufen. Die Kläger beantragten die
Verrechnung der Verluste aus den Aktienverkäufen mit den positiven
Kapitalerträgen. Dies lehnte das Finanzamt ab.

Entscheidung: Der BFH hat einen
Vorlagebeschluss an das BVerfG gerichtet:

Nach der derzeitigen Gesetzeslage können die Aktienverluste nicht
mit den positiven Kapitalerträgen des Ehemannes verrechnet werden, weil eine
Verrechnung nur mit Aktiengewinnen möglich ist; der Ehemann hat aber keine
Aktiengewinne erzielt.

Das Gesetz, das eine Verrechnung von Aktienverlusten nur mit
Aktiengewinnen zulässt, verstößt gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz des
Grundgesetzes und ist daher verfassungswidrig. Denn Verluste aus
Aktienverkäufen werden schlechter behandelt als andere Verluste aus
Kapitalvermögen. Hierfür gibt es keinen hinreichenden sachlichen Grund:

  • Soweit der Gesetzgeber befürchtet, dass bei einem Börsencrash
    die steuerlich geltend gemachten Aktienverluste den Finanzhaushalt
    beeinträchtigen könnten, ist dies ein rein fiskalischer Grund, der es nicht
    rechtfertigt, dass der Grundsatz der Besteuerung nach der wirtschaftlichen
    Leistungsfähigkeit durchbrochen wird. Außerdem ist es nicht realitätsgerecht
    anzunehmen, dass bei einem Börsencrash noch genügend andere Kapitalerträge
    entstehen könnten, mit denen eine Verrechnung möglich sein könnte.

  • Zudem ist es nicht realitätsgerecht, dass der Gesetzgeber die
    Beschränkung der Verlustverrechnung nicht bei indirekten Aktienanlagen wie
    Aktienfondsanteilen, Aktienzertifikaten oder -optionen anordnet.

  • Weiterhin ist es verfassungsrechtlich nicht zu akzeptieren,
    dass die Beschränkung der Verlustverrechnung von Aktienverlusten auch dann
    gilt, wenn es keinen Börsencrash gibt.

  • Die Beschränkung der Verlustverrechnung kann nicht mit der
    Notwendigkeit zur Verhinderung missbräuchlicher Steuergestaltungen
    gerechtfertigt werden. Insbesondere steht es dem Steuerpflichtigen frei,
    Verluste aus Aktien dann zu realisieren, wenn er den Verlust steuerlich optimal
    nutzen kann, weil er andere positive Einkünfte aus Kapitalvermögen hat.

  • Die Beschränkung der Verlustverrechnung kann auch nicht damit
    gerechtfertigt werden, dass Spekulationsgeschäfte verhindert werden sollen.
    Denn erfasst werden auch Verluste aus langfristig gehaltenen Aktien und damit
    nicht-spekulative Aktienanlagen.

Eine verfassungskonforme Auslegung des Gesetzes ist nicht möglich.
Deshalb muss das BVerfG über die Verfassungsmäßigkeit entscheiden.

Hinweise: Die Entscheidung liegt nun beim BVerfG, das als einziges
Gericht Gesetze für verfassungswidrig erklären darf. Der Ausgang des Verfahrens
hat erhebliche Bedeutung für Kapitalanleger, weil sie im Fall der
Verfassungswidrigkeit ihre Verluste aus Aktiengeschäften mit Dividenden oder
Zinsen verrechnen könnten.

Der Kläger könnte im Fall der Verfassungswidrigkeit seinen
Aktienverlust in Höhe von 4.819 € mit seinen positiven Kapitalerträgen
in Höhe von 2.092 € verrechnen, so dass sich für ihn Kapitaleinkünfte in
Höhe von 0 € ergeben würden. Für die Ehefrau (Klägerin) ergäben sich
hingegen keine positiven Auswirkungen, da sie keine Aktienverluste erzielt hat
und die Aktienverluste ihres Ehemannes nicht mit ihren Kapitaleinkünften
„ehegattenübergreifend“ verrechnet werden können.

BFH, Beschluss vom 17.11.2020 – VIII R 11/18;
NWB