Wurden mehrere Betriebe bzw. wirtschaftliche Einheiten bis zum
30.6.2016 verschenkt, konnte für jede wirtschaftliche Einheit eine Erklärung
zur sog. Vollverschonung, d.h. zur vollständigen Steuerbefreiung, gesondert
abgegeben werden. Soweit die zehnprozentige Verwaltungsvermögensgrenze bei
einer Einheit überschritten wurde, wurde für diese Einheit weder die
vollständige noch die anteilige Steuerbefreiung von 85 % gewährt, wenn die
Erklärung zur Vollverschonung auch für diese Einheit abgegeben wurde.

Hintergrund: Bei der Schenkung
oder Vererbung von Betriebsvermögen wird eine Steuerfreiheit von 85 % gewährt
(sog. Regelverschonung); allerdings müssen hierfür besondere Voraussetzungen
eingehalten werden, z.B. die Fortführung des Betriebs für mindestens fünf
Jahre. Unter bestimmten Voraussetzungen kann sogar eine vollständige
Steuerfreiheit erlangt werden (sog. Vollverschonung). Hierfür muss zum einen
eine unwiderrufliche Erklärung abgegeben werden, und es müssen weitere
Voraussetzungen erfüllt werden; so muss der Betrieb dann z.B. mindestens sieben
Jahre fortgeführt werden. Für die Vollverschonung durfte der Betrieb bis zum
30.6.2016 maximal 10 % Verwaltungsvermögen (nicht produktive Werte wie z.B.
Geld, Kunstwerke oder Mietwohnungen) enthalten.

Streitfall: Die Mutter der
Klägerin schenkte der Klägerin im Jahr 2010 vier KG-Beteiligungen (KG 1, 2, 3
und 4). Das Finanzamt erließ einen Schenkungsteuerbescheid und gewährte die
Steuerbefreiung von 85 % für Betriebsvermögen. Anschließend stellte das für die
KG 1 bis 4 zuständige Finanzamt die Werte der Beteiligungen fest und ermittelte
dabei eine Verwaltungsvermögensquote der KG 2 in Höhe von 13,74 %. Für alle KG
zusammen betrug die Verwaltungsvermögensquote unter 10 %. Das Finanzamt änderte
daraufhin den Schenkungsteuerbescheid und legte die ermittelten Werte zugrunde.
Die Klägerin legte hiergegen Einspruch ein und beantragte nunmehr für den
gesamten Erwerb die sog. Vollverschonung, d.h. die vollständige
Steuerbefreiung. Das Finanzamt folgte dem hinsichtlich der Beteiligungen an der
KG 1, 3 und 4, gewährte aber für die KG 4 keine Steuerbefreiung, auch keine
anteilige von 85 %.

Entscheidung: Der
Bundesfinanzhof (BFH) folgte der Auffassung des Finanzamts und wies die Klage
ab:

  • Nach dem bis zum 30.6.2016 geltenden Recht durfte der Anteil
    des Verwaltungsvermögen bei der Vollverschonung die Grenze von 10 % nicht
    überschreiten.

  • Diese Grenze von 10 % ist für jede übertragene wirtschaftliche
    Einheit gesondert zu ermitteln. Der Gesetzgeber stellt nach dem Wortlaut auf
    den jeweiligen Betrieb ab und nimmt keine zusammenfassende
    Betrachtung
    mehrerer wirtschaftlicher Einheiten vor. Dies
    gilt insbesondere in Bezug auf die siebenjährigen Behaltensfrist, die für jede
    wirtschaftliche Einheit gesondert zu ermitteln ist.

  • Die Klägerin kann daher nicht mit Erfolg geltend machen, dass
    die Verwaltungsvermögensquote für die vier KG-Beteiligungen zusammen 10 % nicht
    überschreitet. Für die KG 2 wird wegen Überschreitens der 10 %-Grenze die
    vollständige Steuerbefreiung nicht gewährt.

  • Allerdings kann die Klägerin für die KG 2 auch keine anteilige
    Steuerbefreiung von 85 % geltend machen. Denn wenn die Anforderungen an eine
    beantragte Vollverschonung nicht erfüllt sind, ist auch die Regelverschonung
    nicht zu gewähren. Dies ergibt sich daraus, dass die Erklärung zur
    Vollverschonung unwiderruflich ist. Die Unwiderruflichkeit hätte keine
    Bedeutung, wenn im Fall der Versagung der Vollverschonung die Regelverschonung
    zu gewähren wäre. Zudem soll die Vollverschonung dem Steuerpflichtigen einen
    erhöhten Anreiz bieten, den bestehenden Betrieb und dessen Arbeitsplätze zu
    schützen; zu diesen Anreizen gehört neben der vollständigen Steuerbefreiung
    auch der drohende Verlust der Regelverschonung.

Hinweise: Der BFH macht
deutlich, dass die Erklärung zur Vollverschonung für jede wirtschaftliche
Einheit gesondert abgegeben werden kann. Die Erklärung der Klägerin zur
Vollverschonung war aber umfänglich und beschränkte sich nicht auf die
Beteiligungen an der KG 1, 3 und 4. Die Klägerin hätte die unwiderrufliche
Erklärung zur Vollverschonung nur für die KG 1, 3 und 4 abgeben sollen und
nicht für die KG 2. Dann hätte die Klägerin für die KG 1, 3 und 4 ebenfalls die
Vollverschonung, also vollständige Steuerfreiheit, erhalten und zudem für die
KG 2 die sog. Regelverschonung, also eine Steuerfreiheit im Umfang von 85
%.

Die Regeln für die Begünstigung des Betriebsvermögens wurden 2016
deutlich geändert. Bis zum 30.6.2016 genügte es für die Regelverschonung, wenn
der Betrieb nicht mehr als 50 % Verwaltungsvermögen enthielt, z.B. Forderungen,
Bargeld oder Kunstwerke. Seit dem 1.7.2017 wird das Verwaltungsvermögen aus dem
Gesamtwert des Betriebs herausgerechnet und nur der verbleibende Wert
steuerbefreit. Für die sog. Vollverschonung darf der Betrieb seit dem 1.7.2016
maximal 20 % Verwaltungsvermögen enthalten; allerdings erstreckt sich die
Steuerbefreiung grundsätzlich nicht auf das Verwaltungsvermögen.

Zur neuen Rechtslage seit dem 1.7.2016 hat sich der BFH nicht
geäußert und auch nicht äußern müssen. Die Grundsätze des Urteils, nämlich die
Folgen einer gescheiterten Erklärung zur Vollverschonung und die gesonderte
Abgabe einer Erklärung zur Vollverschonung für jede wirtschaftliche Einheit,
dürften aber auch für die neue Rechtslage gelten.

Quelle: BFH, Urteil v. 26.7.2022
– II R 25/20; NWB