Bei der Schenkungsteuer beginnt die
Festsetzungsfrist nicht vor Ablauf des Kalenderjahres, in dem der Erbe Kenntnis
von seinem Erbe erlangt. Dabei kommt es auf die Kenntnis des rechtsgültigen
Erwerbs an. Dies ist der Zeitpunkt, zu dem das Nachlassgericht im sog.
Erbscheinverfahren über die Wirksamkeit des Testaments entscheidet, wenn ein
anderer potentieller Erbe der Erteilung des Erbscheins
entgegentritt.
Hintergrund:
Grundsätzlich beginnt die vierjährige Verjährungsfrist mit Ablauf des Jahres,
in dem die Steuer entstanden ist. Hiervon gibt es aber zahlreiche Ausnahmen, in
denen es zu einem späteren Beginn kommt; man spricht hier von einer
Anlaufhemmung. Im Bereich der Erbschaftsteuer beginnt z.B. die
Festsetzungsfrist nicht vor Ablauf des Kalenderjahres, in dem der Erbe Kenntnis
von seinem Erbe erlangt.
Sachverhalt: Die Tante
des Klägers starb im November 1988. Der Kläger und seine Schwester waren die
einzigen Hinterbliebenen. Die Tante hatte in ihrem Testament aus dem Jahr 1983
den Kläger sowie dessen Schwester zu gleichen Teilen als Erben eingesetzt.
Allerdings hatte sie in einem weiteren Testament aus dem August 1988 den Kläger
zum Alleinerben bestimmt. Beide Testamente waren zunächst nicht bekannt,
sondern wurden erst später entdeckt. Daher wurde dem Kläger und seiner
Schwester im Januar 1989 ein Erbschein erteilt, nach dem der Kläger und seine
Schwester zu je ½ Erben aufgrund gesetzlicher Erbfolge waren. Das Finanzamt
erließ im Juli 1994 einen entsprechenden Erbschaftsteuerbescheid, in dem es die
Hälfte des Nachlasses dem Kläger zurechnete. Nachdem der Kläger das Testament
vom August 1988 gefunden hatte, legte er dieses dem Nachlassgericht vor und
beantragte einen Erbschein, in dem er als Alleinerbe genannt wird. Dem
widersprach die Schwester des Klägers mit der Begründung, die Tante sei im
August 1988 testierunfähig gewesen. Mit Beschluss vom 27.9.2007 kündigte das
Nachlassgericht im Wege eines sog. Vorbescheids an, dem Antrag des Klägers
stattzugeben und den Erbschein wie vom Kläger beantragt zu erteilen. Die
Beschwerde der Schwester des Klägers wurde vom Landgericht im April 2008
zurückgewiesen, und auch eine hiergegen eingelegte Beschwerde der Schwester des
Klägers hatte keinen Erfolg, sondern wurde im Februar 2009 zurückgewiesen. Im
Oktober 2009 wurde dem Kläger ein Erbschein erteilt, in dem er als Alleinerbe
genannt wurde. Daraufhin erließ das Finanzamt im September 2010 einen
Änderungsbescheid und behandelte den Kläger als Alleinerben. Der Kläger machte
den Eintritt der Festsetzungsverjährung geltend.
Entscheidung: Der
Bundesfinanzhof (BFH) wies die Klage ab:
-
Im Streitfall war es zu einer
Anlaufhemmung gekommen, da der Kläger erst mit dem Beschluss
des Nachlassgerichts vom die Kenntnis vom
rechtsgültigen Erwerb als Alleinerbe erlangt hat. -
Für die Kenntnis vom Erwerb
als Erbe genügt es in der Regel nicht, dass der Erbe die Existenz und den
Inhalt eines Testaments kennt. Vielmehr muss er auch wissen, ob der Erblasser
das Testament nicht noch aufgehoben bzw. widerrufen oder geändert hat. In der
Regel erlangt der Erbe die entsprechende Kenntnis daher erst mit der Eröffnung
des Testaments. -
Wenn der Erbe einen Erbschein
beantragt und ein anderer Erbe dem Antrag entgegentritt, tritt die Kenntnis
über den Erwerb als Erbe erst mit der Entscheidung des
Nachlassgerichts im Erbscheinverfahren ein. Denn dies stellt
eine gerichtliche Entscheidung über die Wirksamkeit des Testaments dar. -
Die gerichtliche Entscheidung
des Nachlassgerichts im Erbscheinverfahren erging am 27.9.2007. Damit begann
erst mit Ablauf des 31.12.2007 die vierjährige Festsetzungsfrist, so dass der
Änderungsbescheid vom September 2010 innerhalb der vierjährigen
Verjährungsfrist erging, die mit Ablauf des 31.12.2011 endete. Die
Anlaufhemmung war nicht dadurch verbraucht, dass der Kläger bereits im Januar
1989 einen Erbschein erhalten hatte; dieser Erbschein beruhte nämlich lediglich
auf der gesetzlichen Erbfolge, nicht aber auf dem rechtsgültigen Erwerb
aufgrund des Testaments der Tante vom August 1988.
Hinweise: Eine
Änderungsvorschrift für den Bescheid vom September 2010 bestand ebenfalls,
nämlich die Änderung wegen neuer Tatsachen; die neuen Tatsachen war das
Testament der Tante vom August 1998, mit dem der Kläger zum Alleinerben
bestimmt worden war.
Unbeachtlich ist, ob der
gerichtliche Beschluss vom 27.9.2007 noch mit Rechtsmitteln anfechtbar war oder
tatsächlich angefochten wurde; denn es kommt allein auf die Kenntnis an, dass
der Kläger Alleinerbe geworden ist. Diese Kenntnis trat mit der Entscheidung
des Nachlassgerichts am 27.9.2007 ein.
Quelle: BFH, Urteil vom 4.6.2025
– II R 28/22; NWB
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