Einem beherrschenden Gesellschafter einer ausländischen
Kapitalgesellschaft gilt die Dividende bereits im Fälligkeitszeitpunkt als
zugeflossen, wenn die Kapitalgesellschaft zahlungsfähig ist und nach
ausländischem Recht keine rechtlichen oder tatsächlichen Hindernisse gegen eine
Dividendenauszahlung bestehen. Der beherrschende Gesellschafter hat dann
nämlich die Auszahlung in seiner Hand.

Hintergrund: Die Steuerpflicht
von Einnahmen im Bereich der sog. Überschusseinkünfte wie Kapitaleinkünfte,
Arbeitslohn, Vermietungseinkünfte oder sonstigen Einkünfte setzt grundsätzlich
den Zufluss voraus.

Streitfall: Der Kläger hatte in
den Streitjahren 2007 bis 2010 seinen Wohnsitz in Deutschland. Er war
Alleingesellschafter der kroatischen X-D.o.o., bei der es sich um eine
Gesellschaft mit beschränkter Haftung nach kroatischem Recht handelte. Die
X-D.o.o. beschloss in den Streitjahren Dividendenausschüttungen in Höhe von bis
zu ca. 300.000 €, zahlte die Dividenden aber dem Kläger nicht aus. Das
Finanzamt ging aufgrund der beherrschenden Stellung des Klägers von einem
fiktiven Zufluss aus und setzte entsprechende Kapitaleinnahmen in den
Steuerbescheiden für 2007 bis 2010 an.

Entscheidung: Der
Bundesfinanzhof (BFH) hielt einen fiktiven Zufluss für grundsätzlich möglich,
verwies die Sache aber zur weiteren Aufklärung an das Finanzgericht (FG)
zurück:

  • Zwar sind die Dividenden dem Kläger tatsächlich nicht
    zugeflossen, da die Gesellschafterversammlung der X-D.o.o. die
    Dividendenzahlung nur beschlossen hat, die X-D.o.o. die Dividenden aber nicht
    an den Kläger ausbezahlt hat.

  • Jedoch ist ein fiktiver Zufluss der Dividenden beim Kläger
    denkbar. Der Kläger war als Alleingesellschafter nämlich beherrschender
    Gesellschafter und hatte es daher grundsätzlich in der Hand, die Dividenden an
    sich auszahlen zu lassen.

  • Ein derartiger fiktiver Zufluss kann aber nur angenommen
    werden, wenn der Anspruch des beherrschenden Gesellschafters eindeutig,
    unbestritten und fällig ist, die Kapitalgesellschaft zahlungsfähig ist und wenn
    die wirtschaftliche Verfügungsmacht des beherrschenden Gesellschafters zu
    bejahen ist. Eine wirtschaftliche Verfügungsmacht besteht nicht, wenn der
    Auszahlung rechtliche oder wirtschaftliche Hindernisse entgegenstehen; ob
    derartige Hindernisse bestehen, richtet sich bei einer ausländischen
    Kapitalgesellschaft nach dem ausländischen Recht, d. h. im Streitfall nach dem
    kroatischen Recht.

  • Im Streitfall waren die Dividendenauszahlungsansprüche des
    Klägers fällig, und die X-D.o.o. war aufgrund der erzielten Gewinne in den
    Jahren 2007 bis 2010 auch zahlungsfähig. Allerdings könnte es sein, dass einer
    Auszahlung Hindernisse nach kroatischem Recht entgegenstanden; denn der Kläger
    hatte geltend gemacht, dass die Auszahlung einer Dividende nach kroatischem
    Recht erst dann erfolgen darf, wenn die Kapitalgesellschaft die Abführung der
    Kapitalertragsteuer an das kroatische Finanzamt nachweist. Ob es tatsächlich
    ein solches Hindernis gab, muss das FG nun im zweiten Rechtsgang aufklären.

Hinweise: Der BFH wendet auf den
beherrschenden Gesellschafter einer ausländischen Kapitalgesellschaft die
gleichen Grundsätze wie auf den beherrschenden Gesellschafter einer deutschen
Kapitalgesellschaft an. Allerdings gibt es bei einer deutschen
Kapitalgesellschaft in der Regel keine rechtlichen Hindernisse gegen die
Auszahlung einer beschlossenen Dividende. Anders kann dies bei einer
ausländischen Kapitalgesellschaft sein, weil hier das jeweilige ausländische
Recht zu prüfen ist.

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Die Annahme eines fiktiven Zuflusses führt zu einer Vorverlagerung
der Steuerpflicht. Sie führt aber nicht zu einer Doppelbesteuerung. Denn wird
die Dividende tatsächlich an den Kläger ausgezahlt, muss der Kläger die
Dividende dann beim tatsächlichen Zufluss nicht noch einmal versteuern, wenn
bereits zuvor ein fiktiver Zufluss bejaht worden war.

Ein fiktiver Zufluss kommt bei beherrschenden Gesellschaftern einer
Kapitalgesellschaft auch bei anderen Einkünften in Betracht, z.B. beim
Arbeitslohn, etwa bei einer fälligen Tantieme, die nicht ausgezahlt wird,
obwohl die Kapitalgesellschaft zahlungsfähig ist.

Quelle: BFH, Urteil v. 14.2.2022
– VIII R 32/19; NWB