Es ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dass bei der
Bewertung lebenslanger Nutzungen und Leistungen im Rahmen der Erbschaft- und
Schenkungsteuer unterschiedliche Sterbetafeln für Männer und Frauen verwendet
werden. Dies dient einer realitätsgerechten Bewertung, da Frauen länger leben
als Männer.
Hintergrund: Für die Bewertung
lebenslanger Nutzungen und Leistungen wie z.B. von Nießbrauchsrechten, die dem
Nießbrauchsberechtigten bis zum Tod zustehen sollen, muss ein Kapitalwert
ermittelt werden. Hierfür wird ein Jahreswert der Nutzung ermittelt und mit
einem Vervielfältiger multipliziert. Dieser Vervielfältiger wird anhand der
Sterbetafel des Statistischen Bundesamtes ermittelt. Die Sterbetafel
unterscheidet zwischen Männern und Frauen.
Sachverhalt: Ein 74 Jahre alter
Vater übertrug seinen drei Kindern, einem Sohn (Kläger) und zwei Töchtern, im
Rahmen der vorweggenommenen Erbfolge GmbH-Anteile, behielt sich aber einen
lebenslangen unentgeltlichen Nießbrauch vor. Das für die GmbH zuständige
Finanzamt bewertete die Anteile mit einem Wert von ca. 780.000 €. Das
für die Besteuerung des Sohns (Klägers) zuständige Finanzamt zog hiervon den
Wert des Nießbrauchs in Höhe von ca. 350.000 € ab, so dass sich für den
Sohn ein Wert der Schenkung in Höhe von ca. 430.000 € ergab. Bei der
Bewertung des Nießbrauchs wandte das Finanzamt die Sterbetafel für Männer an
und gelangte zu einem Vervielfältiger von 8,431 (verbleibende Lebenserwartung
für 74 Jahre alte Männer 11,21 Jahre). Der Kläger machte geltend, dass sich
nach der Sterbetafel für Frauen ein höherer Vervielfältiger und damit ein
höherer Abzug ergeben würde (verbleibende Lebenserwartung für 74 Jahre alte
Frauen: 13,28 Jahre).
Entscheidung: Der
Bundesfinanzhof (BFH) wies die Klage des Sohnes ab:
-
Die unentgeltliche Übertragung der GmbH-Anteile vom Vater auf
den Sohn war schenkungsteuerbar. -
Der Wert der übertragenen GmbH-Anteile wurde von dem für die
GmbH zuständigen Finanzamt mit 780.000 € festgestellt. Dieser Wert wurde
durch den Nießbrauch des Vaters gemindert. -
Bei der Bewertung des Nießbrauchs waren die Sterbetafeln für
Männer anzusetzen, da der Vater ein Mann war. Zwar führen die Sterbetafeln zu
einer geschlechterbedingten Ungleichbehandlung. Diese
Ungleichbehandlung ist aber verfassungsrechtlich
gefertigt; denn die unterschiedlichen Sterbetafeln für Männer
und Frauen ermöglichen eine gleichheitsgerechte Belastung der
Steuerpflichtigen, weil so die Werte der geschenkten Vermögensgegenstände
zutreffend und realitätsgerecht abgebildet werden können; denn Männer leben
nicht so lange wie Frauen, so dass sie die ihnen eingeräumte Nutzung und
Leistung nicht so lange nutzen können wie eine Frau.
Hinweise: Frauen leben etwa fünf
Jahre länger als Männer. Daher ist es gerecht, einen Nießbrauch, der einer Frau
lebenslang eingeräumt wird, höher zu bewerten als einen Nießbrauch, der einem
Mann lebenslang eingeräumt wird. Denn ein 74 Jahre alter Mann wird den
Nießbrauch statistisch gesehen fünf Jahre weniger nutzen.
Die Verwendung unterschiedlicher Sterbetafeln für Männer und Frauen
kann sich für den Steuerpflichtigen mal günstiger und mal ungünstiger
auswirken. Wird ein Nießbrauch einer Frau lebenslang zugewendet, muss diese
einen höheren Kapitalwert versteuern als ein Mann, der einen Nießbrauch bis zum
Lebensende erhält. Im Streitfall wirkte es sich aber zum Nachteil des Klägers
aus, dass der Schenker ein Mann war und sich einen lebenslangen Nießbrauch
vorbehielt. Dafür wird der Kläger die GmbH-Anteile statistisch betrachtet fünf
Jahre früher unbelastet nutzen können.
Würde der Nießbrauch bei dem 74 Jahre alten Vater nicht länger als
fünf Jahre bestehen, könnte die Schenkungsteuerfestsetzung nach dem Gesetz auf
Antrag berichtigt werden. Fällt der Nießbrauch weg, ist ein Antrag nicht
erforderlich.
Quelle: BFH, Urteil vom 20.1.2024 – II R 38/22;
NWB
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